Das Thema müsste auch Leserinnen und Leser außerhalb Hamburgs interessieren. Deshalb dieses Interview. Nicht uninteressant ist auch die seltsame politische Konstellation. Die Verlegung wird von der rot-grünen Koalition Hamburgs betrieben. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der bis vor kurzem das Projekt erfolgreich blockiert hatte, hat seinen Widerstand aufgegeben. Am Sonntag sind Bürgerschaftswahlen in Hamburg. Die Fragen hat Kristian Stemmler gestellt.
Herr Luik, vergangene Woche wurde bekannt, dass der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der gegen die Verlegung des Fernbahnhofs Altona in Hamburg erfolgreich geklagt hatte, seine Klage gegen das Projekt zurückgezogen hat* und somit die Verlegung des Bahnhofs ermöglicht. Warum finden Sie das widersinnig?
Weil es fatal ist, was hier geschieht – aus ökologischer, ökonomischer, verkehrlicher Sicht. Die Zerstörung der Vernunft. Der Bahnhof Altona ist einer der größten Bahnhöfe des Landes, er ist sehr wichtig für den Fern- und auch den Regionalverkehr. Es ist ein zwar hässlicher, aber überaus funktionaler Bahnhof, völlig barrierefrei, er liegt mitten in der Stadt, er ist zu Fuß oder mit dem Rad von rund 250.000 Menschen gut zu erreichen. An den Bahnhof ist zudem die wichtigste Autoladestation des Landes angeschlossen. Und jetzt soll dieser gute, dieser perfekt funktionierende Bahnhof mitten aus dem Leben an einen Friedhof in Diebsteich verlegt werden, dorthin, wo kaum jemand lebt, in ein tristes Industriegebiet. Tote Hose.
Was plant denn die Bahn in Diebsteich?
Dort soll ein Bahnhof in 15 Metern Höhe entstehen, noch hässlicher als der alte, hässliche. Schlimmer noch: Dieser neue Hochbahnhof wird ein Drittel weniger Gleise haben, also auch viel weniger Kapazität als der alte, und er wird nur über Aufzüge und Rolltreppen und Treppen erreichbar sein. Warum macht man so einen Unfug? Warum zerschlägt man unter dem verschwenderischen Einsatz von zig Millionen Euro einen perfekten Bahnhof, der – Ökologie! Klima!! –für die Zukunft bestens gerüstet ist, um in 15 Metern Höhe ein Dauerärgernis für Behinderte und Ältere zu schaffen, eine Dauerbelästigung für Alle, etwas schlichtweg Unbequemes, etwas Kundenunfreundliches? Verschärfend kommt hinzu: Der alte Bahnhof ist ein optimaler Verkehrsknotenpunkt, da sind S-Bahnen, da ist ein Busbahnhof. Man hat kurze Wege, man kann von Fernzügen rasch in Regionalbahnen oder Busse und S-Bahnen wechseln. In Diebsteich ist das nicht mehr möglich, dort ist man isoliert, jedes Umsteigen wird zum zeitraubenden Unterfangen. Diese Verlegung ist ein so unnötiger, wie unverzeihlicher Anschlag auf den öffentlichen Personennah- und Fernverkehr. Dieser Bahnhofsumzug bringt, das zeigte vor ein paar Jahren eine Studie, für über 350 000 Pendler, Reisende und Anwohner nur Nachteile, sie werden darunter Tag für Tag leiden. Sie werden wohl, obwohl sie es wahrscheinlich gar nicht wollen, aus Notwehr wieder Auto fahren.
Das Mantra von Politikern ist doch derzeit: Der ÖPNV soll ausgebaut werden.
Das ist ja das Widersinnige. Alle reden davon, mehr Personen, mehr Güter auf die Schienen zu bringen – dem Klima zuliebe. Aber Hamburgs rotgrüner Senat und die Bahn machen faktisch das Gegenteil, sie ruinieren mit ihrem Tun das Klima: Diese Verlegung ist ein Förderprogramm für den ressourcenverschwendenden, die Umwelt belastenden Autoverkehr. Noch eine Umweltsünde, die leider kaum Beachtung findet: Dieser Beton-Hochbahnhof in Diebsteich setzt beim Bau große Mengen an Treibhausgasen frei – eine Umweltsünde, die so leicht vermeidbar wäre. Es ist schon erstaunlich, dass die Grünen bei diesem Umweltfrevel mitmachen. Ein Verkehrsplaner, der wie so häufig, wenn es um Aktivitäten der Bahn geht, nicht namentlich genannt werden will, sagt in meinem Buch über diese Bahnhofsverlegung: „Dieses Projekt riecht nach Korruption. Ein funktionierender Bahnhof, der seit Jahrzehnten der Bahn viel Geld durch Vermietungen einbringt, wird zerstört. Wider besseres Wissen, gegen jeden Sachverstand wird mit der Verlegung ein Flaschenhals geschaffen, der den Bahnverkehr für immer behindert. Die Macher denken nicht an die nachfolgenden Generationen. Die denken nur an das Geld, das sie durch Immobilien kriegen. Es ist alles so verdächtig. Ich verstehe nicht, warum die Hamburger nicht aufschreien!“.
Wegen der Klage des VCD und anderer war das Projekt im Herbst gestoppt worden. Wieso ist der VCD jetzt umgekippt?
Es war ja wirklich mal ein Wunder – bundesweit –, dass ein Gericht bei einer Bahn-Sache, bei der so viel Geld auf dem Spiel steht, einem Kläger Recht gegeben hat. Aber dass der VCD als letzter verbliebener Kläger einknicken würde, war mir klar. Folge dem Geld: In einem mir vorliegenden Vertragsentwurf des Finanzsenators Andreas Dressel (SPD) für ein ominöses „Dialogforum“ (in dem die Stadt, die DB Netz AG, DB Station&Service AG, der VCD vertreten sein werden) heißt es: „Um die Mitarbeit der ehrenamtlich Beteiligten insbesondere auf Seiten des VCD effektiv zu ermöglichen (Hervorhebung A.L.), wird das Dialogforum angemessen mit Personal- und Sachmitteln ausgestattet.“ Nett. Im gültigen Einigungspapier dieses „Dialogforums“ ist dann nicht mehr direkt vom VCD die Rede, sondern nur davon, dass dieses „Dialogforum“ für die 2020er Jahre mit einem „Verfügungsfonds in Höhe von jährlich bis zu 150.000 Euro“ ausgestattet werden soll. Nicht schlecht. Ein Mitglied des VCD, das sich über das Einknicken seines Vereins ärgert, vermutet in einem Leserbrief im „Hamburger Abendblatt“, „dass der VCD sich dem Vorwurf aussetzt, sein Klagerecht verkauft zu haben“. Ich vermute, er vermutet das Richtige.
Senat und Bahn sagen: Auf dem frei werdenden Areal sollen Wohnungen gebaut werden. Meinten Sie das mit „der Bahn-Sache, bei der so viel Geld auf dem Spiel steht“?
Ja. Bei diesem Projekt geht es nicht um die Bahn, schon gar nicht um eine Verbesserung des Schienenverkehrs. Diese Bahnhofsverlegung ist ein Projekt für Investoren, der ökologische Bahnverkehr wird Opfer von Immobilienhaien. Aber wertvolles Bahngelände ist doch nicht dazu da, die verkorkste Wohnungs- und Baupolitik des Senats zu lösen! Kein Mensch käme auf die Idee, das Maschener Autobahn-Kreuz zu verlegen und um ein Drittel zu verkleinern, um dann auf dem so freigewordenen Gelände Wohnungen zu errichten. Aber mit Bahngelände, das für die Zukunft wegen der Verkehrswende so unendlich wichtig ist, kann man offenbar so verschwenderisch umspringen! Der einzige Gewinner bei diesem Spiel auf Kosten des Verkehrs, der Umwelt, der Vernunft ist die Bahn. Sie hat den Bahnhof Altona für sich kostensparend verfallen lassen und die riesige Gleisanlage, die sie einstmals geschenkt bekommen hat, für 40 Millionen an die Stadt verkauft, dazu übernimmt Hamburg auch noch die millionenschwere Sanierung des Geländes – und opfert so den so wichtigen Bahnverkehr. Besonders ärgerlich: Die Alternativpläne der „Prellbock-Altona“-Bürgerinitiative, die Wohnraum ohne Bahnhofsverlegung ermöglicht hätten, wurden vom rotgrünen Senat einfach ignoriert. Bizarr. Mir geht es wie dem zitierten Verkehrsplaner: Ich verstehe nicht, warum die Hamburger nicht aufschreien.
Nachträgliche Ergänzung eines interessanten Hinweises, der nach Einstellung des Interviews von einem NachDenkSeiten Leser kam:
Bezüglich des Bahnhofumzuges in Altona möchte ich auf eine sehr faktenreiche und interessante Analyse hinweisen.
Es wird deutlich, dass es aus eisenbahntechnischer und verkehrlicher Sicht zu keiner Verbesserung des ÖPNV im Raum Hamburg kommt.
Auch zu anderen Bahn-Infrastrukturprojekten im Norden (z.B. Alpha-E) gibt es weitere interessante Inhalte.
Titelbild: Joerg Huettenhoelscher/shutterstock.com
Interview: Kristian Stemmler
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