Neuer Fernbahnhof ohne Umweltprüfung?
Wie das Eisenbahn-Bundesamt Rot-Grün in Hamburg an der Nase herumführt
Redaktion-Prellbock am 26.02.2018
Dr. Anjes Tjarks reagiert derzeit recht kurz angebunden, wenn er nach dem Bahnhofsprojekt Hamburg-Altona gefragt wird.
Der grüne Fraktionsvorsitzende in der Hamburgischen Bürgerschaft muss neuerdings erklären, warum er ein Großprojekt verteidigt, bei dem die gesetzlich vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung ausgelassen wurde. Das ist schwierig, wenn man Spitzenmann einer Partei ist, die sich als Kernkompetenz den Umweltschutz auf ihre Fahnen geschrieben hat und gerne als Vorkämpferin für Transparenz auftritt.
„Diese Entscheidung liegt (…) alleinig beim Eisenbahnbundesamt und damit außerhalb des Verfügungsbereiches der Hamburger Behörden und der Hamburgischen Bürgerschaft“, erklärt Tjarks kurz und knapp in einer Antwort auf abgeordnetenwatch.de.
Damit erübrigt sich für Tjarks auch jede weitere Erörterung der Frage, ob die Umweltverträglichkeitsprüfung nun wenigstens nachzuholen ist.
Solch technokratische Kaltschnäuzigkeit dürfte Ärger und Enttäuschung bei denjenigen verstärken, die bereits bei der öffentlichen Anhörung zu dem Vorhaben im vorletzten Jahr das Gefühl nicht loswurden, dass die Würfel längst gefallen und Alternativen zur „Verlegung“ des Fern- und Regionalbahnhofs Altona zur S-Bahnstation Diebsteich nicht ernsthaft geprüft worden waren.
Michael Jung
„Wie wir heute wissen, war die öffentliche Anhörung 2016 eine Farce. Es wurde nur so getan, als gebe es eine Umweltverträglichkeitsprüfung“ sagt Michael Jung, der Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock (Motto: „Unser Bahnhof bleibt, wo er ist“).
Eisenbahn-Bundesamt (EBA)
Tatsächlich hatte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) aber bereits lange vor der Anhörung beschlossen, keine Umweltprüfung vorzunehmen. So steht es in einem Schreiben des Amtes vom 7. Dezember 2015 an die Deutsche Bahn (DB Netz), nur eine Woche nachdem diese den Antrag für den nach ihren eigenen Schätzungen 360 Millionen teuren Bahnhofsneubau gestellt hatte.
Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI)
Trotz dieser „verfahrensleitenden Entscheidung“ des EBA vom 7. Dezember 2015 kündigte die für die Durchführung der öffentlichen Anhörung zuständige Hamburgische Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) am 8. März 2016 im Amtlichen Anzeiger eine Umweltverträglichkeitsprüfung an. Dort hieß es: „Das Vorhaben bedarf nach § 3 a des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) einer Umweltverträglichkeitsprüfung, die im Zuge des Planfeststellungsverfahrens von der Planfeststellungsbehörde vorgenommen werden wird.“
Ob die BWVI als Anhörungsbehörde und die zuständige EBA-Außenstelle Hamburg/Schwerin als Planfeststellungsbehörde in dieser Frage intern über Kreuz lagen oder schlicht unkoordiniert nebeneinander her gewurschtelt wurde, lässt sich von außen schwer beurteilen.
Bis Ende letzten Jahres wurde die Öffentlichkeit jedenfalls in dem Glauben gelassen, es werde eine Umweltverträglichkeitsprüfung geben. Erst am 29. Dezember 2017 wurde dann die Katze aus dem Sack gelassen. Zwei Tage vor Silvester erging der sogenannte Planfeststellungsbeschluss des EBA, also die Genehmigung, mit den Bauarbeiten zu beginnen.
Auf Seite 50 des Planfeststellungsbeschlusses heißt es unter der Überschrift „Umweltverträglichkeit“:
„Das Eisenbahn-Bundesamt hat festgestellt, dass von dem Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen ausgehen, so dass eine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht besteht.“
Der juristische Winkelzug des EBA
Zu diesem Ergebnis kam das EBA mit einem juristischen Winkelzug, der einen näheren Prüfung nicht standhält. Dazu muss man wissen, dass das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) zwischen Vorhaben unterscheidet, die automatisch UVP-pflichtig sind, bei denen also in jedem Fall eine UVP zu machen ist, und solchen Vorhaben, bei denen die zuständige Behörde eine sogenannte Vorprüfung des Einzelfalls zu machen hat um festzustellen, ob eine UVP-Pflicht besteht oder nicht. Bei Eisenbahn-Projekten gibt es dementsprechend zwei Kategorien, in die ein Vorhaben eingestuft werden kann: „Bau eines Schienenweges von Eisenbahnen mit den dazugehörigen Betriebsanlagen“ (automatisch UVP-pflichtig) oder „Bau einer sonstigen Betriebsanlage von Eisenbahnen“ (Vorprüfung des Einzelfalls mit der Möglichkeit, gegebenenfalls auf eine UVP zu verzichten).
Letzteres war nach Einschätzung des EBA beim Bahnhofsprojekt Altona angeblich der Fall. Allerdings erlaubt das UVPG die Einstufung als „Bau einer sonstigen Betriebsanlage“ nur, „soweit der Bau nicht Teil des Baues eines Schienenweges“ ist. Dass in Altona auch ein Schienenweg gebaut werden soll, kann aber kaum bestritten werden. Nach Angaben der DB Netz beinhaltet das Projekt den Neubau von ca. 25 km an Gleisen sowie den Neubau eines Stellwerks. Deshalb war die Einstufung des Projekts durch das EBA als „Bau einer sonstigen Betriebsanlage“ offensichtlich unzutreffend.
Die Entscheidung der EBA Außenstelle Hamburg/Schwerin steht auch im Widerspruch zu vom EBA selbst formulierten Vorgaben. Demnach kann nur bei „kleineren Änderungen der vorhandenen Eisenbahnbetriebsanlagen“ von einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung abgesehen werden. Der Neubau eines Bahnhofs, von dem Kritiker vermuten, dass er am Ende eine Milliarde kosten könnte, kann aber unmöglich als kleinere Änderung eingestuft werden.
Die Deutsche Bahn Netz AG sieht es anders
In Erklärungsnot ist das EBA jetzt auch deshalb, weil die DB Netz als Bauherrin selbst der Meinung ist, dass ihr Altonaer Projekt UVP-pflichtig ist. In dem beim EBA am 30. November 2015 eingereichten Erläuterungsbericht der DB Netz heißt es unter Punkt 5.1.:
„Da es sich bei dem Vorhaben gem. Anhang 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) um den „Bau eines Schienenweges von Eisenbahnen mit den dazugehörigen Betriebsanlagen“ handelt, ist gem. § 3b (1) UVPG die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich.“
Mehrere Klagen beim OVG gegen das EBA
Das sind alles Argumente, die in den kommenden Wochen und Monaten wohl vor dem Hamburger Oberverwaltungsgericht ausgerollt werden. Wie zu hören ist, gibt es neben Prellbock-Sprecher Jung auch weitere Kläger, die das Bahnhofsprojekt gerichtlich stoppen lassen wollen.
Und dies mit wahrscheinlich guter Aussicht auf Erfolg. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in seiner jüngsten Fassung vom August 2017 sanktioniert schwere Verfahrensfehler mit der Aufhebung der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, wenn eine „erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung (…) weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist“.
Das Thema hat die Politik in Berlin erreicht
Und auch politisch dürfte das Thema gerade die Grünen weiter verfolgen, nicht nur in Hamburg, sondern wahrscheinlich auch in Berlin, im zuständigen Verkehrsausschuss des Bundestages. Dessen Vorsitzender ist jetzt Cem Özdemir. Nach dem Bahnhofsprojekt Altona gefragt worden ist er auf abgeordetenwatch.de bereits. Bisher hat er in dieser Legislaturperiode allerdings noch keine der an ihn gestellten Fragen beantwortet. Man darf gespannt sein.
Verweise und Links:
Zur Antwort von Dr. Tjarks geht’s hier:
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/dr-anjes-tjarks/question/2018-02-05/296805
Weitere Antworten von Dr. Bartke (SPD), Dennis Thering (CDU), Anne Krischok (SPD) finden sich hier:
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/dr-matthias-bartke/question/2018-02-03/296754
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/dennis-thering/question/2018-02-05/296803
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/anne-krischok/question/2018-02-05/296806
Die bislang unbeantwortete Frage an Cem Özdemir findet sich hier:
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/cem-ozdemir/question/2018-02-03/296752
Der Planfeststellungsbeschluss des EBA vom 29.12.2007 mit dem Hinweis auf die EBA-Entscheidung vom 7.12.2015, keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen:
https://www.eba.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/PF/Beschluesse/Hamburg/51_Bf_Hamburg_Altona.html
Die Ankündigung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Zusammenhang mit der öffentlichen Anhörung findet sich auf Seite 444 im Amtlichen Anzeiger vom 8. März 2016:
http://www.luewu.de/anzeiger/docs/2229.pdf
Die Erläuterungen des Eisenbahn-Bundesamtes zum Thema Umweltverträglichkeitsprüfung finden sich unter folgendem Link:
https://www.eba.bund.de/DE/Themen/Planfeststellung/Umweltbelange/umweltbelange_node.html
Zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung geht’s hier:
https://www.gesetze-im-internet.de/uvpg/
Zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz geht’s hier:
http://www.gesetze-im-internet.de/umwrg/
Informationen über die Arbeit der Bürgerinitiative Prellbock finden sich hier:
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